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Eine (hoch)intelligente Kooperation

Ein Interview mit Dr. Andreas Frings und Michael Anthonsen von RetinaLyze.

KI ist in aller Munde, oder sollte man sagen in aller Augen? Wenn es nach dem Willen des dänischen Medizintechnikunternehmens RetinaLyze geht, wird Künstliche Intelligenz bald auch beim Augenoptiker flächendeckend eingesetzt. Seit Mitte 2015 bietet das Unternehmen eine auf KI basierende SaaS-Software an, die Netzhautscreenings zur Erkennung von möglichen Anzeichen von Diabetischer Retinopathie (DR), altersbedingter Makuladegeneration (AMD) und dem Glaukom ermöglicht.

Der Einsatz von KI soll sich für den Augenoptiker bzw. den Augenarzt und den Kunden bzw. Patienten auszahlen. Der FOCUS hat sich mit RetinaLyze System (Switzerland)-Chef Michael Anthonsen und einem der beiden Back-up-Augenärzten, Dr. Andreas Frings unterhalten. Der Back-up-Augenarzt kann einerseits vom Anwender bei Fragen oder Unsicherheiten beigezogen werden oder andererseits springt Dr. Andreas Frings ein sobald Auffälligkeiten angezeigt werden, die nicht durch die drei Algorithmen eingeordnet werden können. Herausgekommen ist ein Gespräch über die Chancen beim Einsatz der Technologie und über Berührungspunkte zwischen Augenoptik und Augenheilkunde.  Von Daniel Groß

FOCUS: Welche Hard- und Software benötigt der Augenoptiker für das Netzhautscreening?

Anthonsen: Der Augenoptiker benötigt eine Funduskamera, um damit ein Bild der Netzhaut zu machen. Außerdem benötigt er ein Software-Abo von uns. Unsere Software ist internet- und cloudbasiert. Nachdem er sich mit seinen Zugangsdaten auf unserer Homepage angemeldet hat, lädt er die erstellten Bilder über die Software hoch und erhält nach 20 bis 30 Sekunden vom System Rückmeldung, ob es irgendwelche mögliche Auffälligkeiten zu den drei Krankheiten Diabetische Retinopathie, AMD (altersbedingte Makuladegeneration) oder Glaukom gibt. Denn auf diese drei Erkrankungen ist der Algorithmus ausgelegt.

FOCUS: Wie viel Zeit sollte für ein Screening dieser Art mit Beratung, Durchführung und Nachgespräch eingeplant werden?

Anthonsen: Diese Frage hören wir häufig, denn klar, Zeit ist Geld und Augenoptiker haben nicht viel Fachleute dafür zur Verfügung. Wir sagen unseren Kunden dann: Sie können es in 10 bis 15 Minuten machen. Der Augenoptiker macht die Bilder, lädt sie hoch. Die Rückmeldung vom System erfolgt in einem übersichtlichen, leicht verständlichen Bericht: Auffälligkeiten werden mittels Ampelsystem zurückgemeldet. Dieser Bericht wird dann mit dem Kunden besprochen. Das heißt: Die Fachperson erläutert dem Kunden etwaige Auffälligkeiten, erklärt ihm aber auch, dass er eine effektive Diagnose – gleichgültig wie diese auch ausfällt – nur bei seinem Augenarzt erhalten kann. Der erstellte Bericht wird dem Kunden ausgedruckt mitgegeben oder als PDF zugemailt.

FOCUS: Wer sollte in einem Augenoptikgeschäft screenen? Nur der ausgewiesene Meister/Optometrist/BSc/MSc? Oder sind diese Screenings auch durch weniger geschulte Mitarbeiter möglich?

Anthonsen: Ich würde sagen, dass ähnlich wie bei vielen Voruntersuchungen in Augenarztpraxen ein Assistent die Fundusbilder machen kann. Die Kamera funktioniert mehr oder weniger automatisch und uploaden kann er sie dann auch, um damit den Algorithmus zum Laufen bringen.

Das Kundengespräch sollte eine Fachperson führen – so empfehlen wir es.

FOCUS: Wie sollte sich ein Augenoptiker dieses Zusatzangebot vergüten lassen?

Anthonsen: Wir empfehlen, das Screening nicht umsonst anzubieten. Der Augenoptiker sollte den Preis nach regionalem Standort festlegen. Eine schöne Möglichkeit ist es auch, das Augen-Screening in Thementage einzubinden. Hierzu bieten sich Tage an wie z.B. der Weltdiabetestag oder der Weltglaukomtag. Dies könnte er zum Beispiel auch in Kooperation mit einer Apotheke oder einem Sportverein der Region machen. Also entweder er bietet das Screening an als Individualleistung oder auch inbegriffen in einer Refraktion. Diese zusätzliche Dienstleistung ermöglicht dem Augenoptiker dem Kunden mehr zu bieten und die Kundenbindung zu festigen.

Dr. med. Andreas Frings ist
Back-up-Augenarzt bei RetinaLyze

FOCUS: Sie möchten sich ungerne auf einen Preis festlegen?

Anthonsen: Es liegt nicht an uns, das zu entscheiden, aber wenn das RetinaLyze-Screening separat angeboten wird, hören wir vom Markt, dass dafür Preise von 29 bis 40/45 Euro für das alleinige Screening verrechnet werden. Übrigens: In der Schweiz vergütet ein Kranken- und Unfallversicherer seinen Zusatzversicherten bereits 90% der Kosten eines RetinaLyze-Augen-Screenings. 

FOCUS: Wie kam die Zusammenarbeit mit Dr. Andreas Frings zustande?

Dr. Frings: Wir haben uns kennengelernt im Rahmen eines Firmensymposiums letztes Jahr in Nürnberg. RetinaLyze hat ihr interessantes Projekt damals vorgestellt und wir sind ins Gespräch gekommen. Seit April 2019 bin ich offiziell Teammitglied von RetinaLyze und auch Back-up-Augenarzt für den deutschsprachigen Markt, also für Deutschland, die Schweiz und Österreich.

 

FOCUS: Sie unterstützen RetinaLyze als Back-up-Augenarzt. Was genau ist Ihre Aufgabe?

Dr. Frings: Wir haben ein ganzes Portfolio an Fällen, wo Untersuchte weder DR, AMD, oder ein Glaukom aber trotzdem eine Erkrankung haben. In solchen Momenten weiß die KI schlichtweg nicht, was auf dem Bild zu sehen ist. Denn sie „kennt“ nur die drei genannten Erkrankungen. Und das sind dann die Befunde, die auf meinem Tisch landen und manchmal akut weitergeleitet werden müssen.

Ich hatte zum Beispiel im letzten Jahr drei bis vier Fälle, wo bei Untersuchten ein Netzhauttumor gefunden wurde, von dem sie nichts wussten. Eine Netzhautablösung hatten wir auch schon, oder auch Kinder mit Veränderungen am Auge wie Makuladystrophien, die von der KI als pathologisch angezeigt werden, aber der Augenoptiker dann auch weiß, dass das Kind wahrscheinlich irgendwas anderes haben muss als eine altersbedingte Makuladegeneration. In genau solchen Fällen werden mir die Bilder zugespielt, um eine medizinische Meinung auszustellen.

FOCUS: Der Kunde des Augenoptikers wird damit zu Ihrem Patienten?

Dr. Frings: Das könnte man vereinfacht so sagen. Meine Aufgabe ist es, in solchen Fällen eine Empfehlung auszusprechen, welche weitere Diagnostik vonnöten wäre bei einem niedergelassenen Augenarzt oder in einer Klinik. Dort wird dann die Diagnose gestellt.

Ich gebe dem Augenoptiker also einen Hinweis, ob etwas sehr dringend ist oder ob es so aussieht, dass es Veränderungen sind, die im Verlauf kontrolliert werden können. Es ist nie eine Diagnose, die ich da stelle, das kann ich so auch nicht aufgrund eines Netzhautbildes.

FOCUS: Sie betonen, dass der Mensch die Diagnose stellt. Könnte sich das in absehbarer Zeit ändern?

Dr. Frings: Eigentlich ist die Antwort ganz klar „Nein“. Die Diagnose muss immer der Arzt stellen, da hilft die beste KI nichts. Wir müssen nämlich unterscheiden: Die Diagnostik macht die KI, die Diagnose muss ein Mensch machen. Auch ich muss für eine Diagnose den Menschen selbst untersuchen. Und: Diagnose stellen heißt ja auch den Menschen zu informieren.

FOCUS: Haben Sie schon vorher KI-basiert gearbeitet?

Dr. Frings: Viele Augenärzte beschäftigen sich mit Künstlicher Intelligenz, wahrscheinlich ohne es zu wissen. In der Augenheilkunde machen wir relativ viel KI-basiert. Ich zum Beispiel komme aus der Vorderabschnittschirurgie und beschäftige mich viel mit refraktiven Verfahren und KI. Die ganzen topographischen und tomographischen Messungen sind ja alle KI-basiert, die Algorithmen auswerten, um basierend auf Messwerten Risikofaktoren usw. darzustellen. Somit war das Thema KI auch die Brücke zu RetinaLyze für mich.

FOCUS: Wie läuft die Zusammenarbeit mit Augenoptikern, wo genau sind Ihre Berührungspunkte?

Dr. Frings: Es ist ein online-basiertes Verfahren. Der Augenoptiker tritt mit mir über die RetinaLyze-Plattform in Kontakt. Die Kommunikation findet entsprechend online statt: alles was mir zugestellt wird, erhalte ich über das RetinaLyze-Portal. Es ist ein standardisiertes, unkompliziertes Verfahren, bei dem letztlich alles textlich abläuft. 

FOCUS: Wer sollte das Augen-Screening machen lassen? Wer ist die Kernzielgruppe?

Dr. Frings: Ja, das ist eine interessante und gute Frage. Wenn man sich überlegt, welche Krankheiten RetinaLyze screent, sprich AMD, DR, Glaukom, sind das in der Regel Erkrankungen, die mit zunehmendem Alter wahrscheinlicher sind. Damit meine ich alle Patienten bzw. Kunden ab 40+. Statistisch gesehen haben Sie ab da ein höheres Risiko für die Erkrankung. Selbstverständlich, und das hat mir das letzte Jahr auch gezeigt, könnten Sie jeden vor das Gerät setzen, der ein Augenproblem hat oder bei Ihnen in der Filiale sitzt und aus irgendwelchem Grund schlecht sieht.

Anthonsen: Dazu kommt auch, dass Menschen in diesem Alter mehr an ihre Gesundheit denken und merken, dass sie nicht unsterblich sind. Für den Augenoptiker ist das natürlich eine interessante Zielgruppe, da hier die Gleitsichtgläser ins Spiel kommen. Und der Augenoptiker hat diese Zielgruppe gerne auch häufiger im Geschäft, was durch regelmäßige Screenings klappen kann. Warum sollte das Screening nicht jährlich stattfinden wie die Vorsorgeuntersuchung beim Zahnarzt?

FOCUS: Haben Sie Beispiele für Patienten, die das Screening vor schlimmerer Erkrankung bewahrt hat?

Dr. Frings: Definitiv. Abgesehen von den Fällen AMD, DR, Glaukom gab es einige, für die das Screening gar nicht gedacht war. Ich kann mich an ein 9-jähriges Mädchen aus der Schweiz erinnern, das ein bisher nicht klar erkanntes Augenleiden hatte. Nur aufgrund des Fundusbildes, das wir beim Augenoptiker aufgenommen haben erhielt das Mädchen die „Arbeitshypothese“ Makuladystrophie. Wir konnten sie dann schnell weiterleiten. Selbst wenn ihr Leiden nicht behandelt werden kann, hilft bei ihr eine Frühförderung weiter. Das ist ein gutes Beispiel: Hätten wir ihre Augen nicht gescreent, sie wäre bestimmt auch heute noch nicht beim Augenarzt gewesen.

Wir hatten auch eine Patientin mit einer Brustkrebsmetastase. Wie viele andere Krebsarten kann sich auch Brustkrebs über die Retina zeigen. Hier haben wir mit der Erkennung gut helfen können.

Dann war da noch ein männlicher Patient Mitte 40, der sich bei seinem Augenoptiker eine neue Gleitsichtbrille anpassen ließ. Im Rahmen des Screenings gab er an, dass seine Schwester oder sein Bruder Glaukom hatte. Und ja, auch er hatte Auffälligkeiten. Man kann annehmen, dass es auch da zu einer therapeutischen Intervention gekommen ist.

 

FOCUS: Haben Sie Feedback von Augenärzten zu dieser Zusammenarbeit und gibt es hier einen regionalen Unterschied?

Dr. Frings: Bis auf meinen Bekanntenkreis habe ich noch keine Rückmeldungen bekommen. Bekannte Augenärzte finden das System wirklich gut, denn es entlastet sie. In der Region wo ich arbeite, warten sie in der Regel mehrere Monate als gesetzlich Versicherter auf einen Augenarzttermin. Spannend wäre besonders die Meinung in unterversorgten Regionen, wo die Patienten vielleicht noch länger auf Termine warten müssen.

FOCUS: Wie ist die Resonanz seit Markteinführung und seit der Opti 2020?

Anthonsen: Wir, das sind meine Frau und Partnerin und ich, vertreiben RetinaLyze seit Mitte 2015 auf dem deutschsprachigen Markt. Und bisher war es eine schöne Reise – besonders seitdem das Thema KI ab circa 2017 die Leute vermehrt stark interessiert. Das bekommen wir deutlich zu spüren, im positiven Sinn. Heute haben wir in Deutschland und in der Schweiz viele begeisterte Anwender. Österreich ist bisher noch ein etwas herausfordernder Markt für uns. Wir geben nicht auf und werden auch diesem Markt weiterhin die Vorteile von RetinaLyze aufzeigen.

An der Opti waren wir mit unserer RetinaLyze-Software auf sechs Partnermesseständen vertreten. Diese Partner bieten Funduskameras an oder sind Brillenglasproduzenten. Auch durch die Live-Demonstration der RetinaLyze-Software konnten sie zusätzliche Besucherinnen und Besucher der Messe ansprechen. Insgesamt hatten wir eine fantastische Opti2020 mit vielen positiven Rückmeldungen und auch unsere Partner waren sehr zufrieden.

FOCUS: Wird eine Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten geprüft?

Anthonsen: Wir haben gerade EU-Mittel erhalten, um einen Algorithmus für das Alzheimer-Screening zu erstellen. Da noch viele weitere Erkrankungen über die Augen festgestellt werden, bieten sich uns noch viele Möglichkeiten. Es werden also noch weitere Algorithmen folgen.

 

FOCUS: Vielen Dank für das Gespräch.

 

—Ende—

 

RetinaLyze System (Switzerland)-Chef
Michael Anthonsen mit Ehefrau und
Partnerin Barbara Anthonsen.